„Colorado is kicking my ass“. Wohl keinen anderen Satz habe ich in den letzten knapp zwei Wochen öfters gehört. Alle uns Wanderer hat dieser Staat in den letzten Tagen vor große Herausforderungen gestellt. An die Höhe habe ich mich inzwischen weitgehend gewöhnt, das war in den ersten Tagen aber gar nicht so einfach, gerade bei den langen Aufstiegen bin ich doch schwer ins Atmen gekommen. Die eigentlich große Herausforderung gerade in den letzten Tagen war aber vor allem das Wetter kombiniert mit dem Terrain. Der Weg läuft hier viel oben auf Graten oder Bergrücken, oft über lange Strecken von 10 km oder mehr, ohne Abstieg unter die Baumgrenze. Dazu hatten wir vor allem in den letzten Tagen oft schlechtes Wetter mit viel Regen, vor allem auch Hagel, und vielen Gewittern. Gewitter sind hier um diese Jahreszeit nicht unüblich, allerdings kommen sie normalerweise erst nachmittags und dauern nur kurz. Das war letzte Woche nicht der Fall, es war völlig unberechenbar, was die ganze Strecke manchmal zu einem großen Glücksspiel gemacht hat. Einmal bin ich auch 3 km und 500 Höhenmeter einfach wieder zurück abgestiegen, um nicht oben dem Gewitter ausgesetzt zu sein. Wie ich inzwischen gelernt hatte, ist es nämlich sehr unangenehm, in offenem Gelände mitten im Gewitter zu sitzen. Auch jetzt mache ich gerade einen zusätzlichen Tag Pause, um Stürme abzuwarten. Wenn dann aber mal die Sonne scheint, oder es zumindest soweit aufklart, dass man Ausblick hat, dann ist die Gegend hier wirklich beeindruckend. Oft sieht man dann Dutzende Kilometer über die Bergwelt der Colorado Rockies (soehe Fotogallerie).
Da ich durch meinen Pausentag etwas Zeit habe, wollte ich, auch aus anderem Anlass, etwas über die sogenannte Trail Culture schreiben. Wie ich ja schon hier und dort erwähnt habe, treffe ich immer wieder andere Wanderer. Es dürfte eine niedrige dreistellige Zahl vom Wanderern sein, die mehr oder weniger gemeinsam Richtung Mexiko läuft. Es ist tatsächlich sehr faszinierend zu sehen, wen man wo trifft. Manche Wanderer sehe ich über Wochen sehr regelmäßig, manchmal passiert es auch, dass ich jemanden treffe, den ich schon seit wortwörtlich Monaten nicht mehr gesehen habe, wieder andere habe ich erst in der letzten Woche kennengelernt. Nichtsdestotrotz kennt man sich sozusagen, oft hat man auch schon zumindest mal die Namen gehört, es ist durchaus so, dass es hier eine Art Gemeinschafts- oder Gruppengefühl gibt zwischen den Wanderern. Das passiert natürlich jedes Jahr, und hat dazu geführt, dass es auf diesen großen Wanderwegen hier in den USA wie eine Art Subkultur gibt. Beispielsweise ist es hier üblich, sich nicht mit den eigentlichen Namen, sondern mit sogenannten trail-namen an zu reden, die man von anderen Wanderern bekommt. Die meisten basieren auf irgendeiner Episode oder Geschichte oder ähnliches, die auf dem Trail passiert sind, wobei der Großteil aller Wanderer ja schon mal einen ähnlich langen Weg gelaufen ist, und dadurch schon einen Trailnamen hat. Mein eigener trailname ist Yukon, wer mag möge „Cornelius Yukon“ googeln. Ein anderer Teil der Trail culture ist sogenannte Trail magic. Meist bedeutet das in etwa, dass irgendwelche wildfremden Leute irgendetwas für uns Wanderer machen, teilweise geplant, manchmal auch völlig zufällig. Beispielsweise gibt es manchmal an Stellen, wo es wenig Wasser gibt, Leute aus umliegenden Dörfern, die einfach eine Kühltasche mit Wasser an den Weg stellen, manchmal sogar noch mit Keksen, Süßigkeiten oder ähnlichem. Was ich auch schon erlebt habe, als ich mit einer anderen Wandererin an einer Straße entlang gelaufen bin, hat jemand angehalten, und uns gefragt ob wir etwas von McDonald’s wollen. Er ist dann tatsächlich 20 km in die nächste Stadt zurückgefahren und hat uns etwas von McDonald’s gebracht. Solche Sachen passieren immer wieder, die Leute gerade in den ländlichen Gegenden hier sind wirklich hilfsbereit und freundlich.
Gestern war ich in Leadville in Colorado, wo die CDT Coalition, das ist die Organisation, die diesen Weg hier organisiert und betreut, die sogenannten Traildays veranstaltet hat. Das ist ein eintägiges Event für alle sogenannten „Sobos“, so werden die Wanderer bezeichnet, die southbound, also südwärts, laufen, es gab Vorträge, Stände von Ausrüstungsherstellern, und diverse andere Workshops und ähnliches, vor allem aber war es eine Möglichkeit, für alle Wanderer, sich mal an einem Ort ohne Wamderstress zu treffen. Das war wirklich schön, auch wieder Leute zu sehen, die ich schon lange nicht mehr gesehen hatte, aber auch viele neue Leute kennenzulernen, die ich noch nicht getroffen hatte.
Die Wanderer hier auf dem Trail sind äußerst unterschiedlich, es ist wirklich faszinierend, wen man hier alles so trifft. Den Großteil der Wanderers sind natürlich US-Amerikaner, die zweitgrößte Gruppe machen wir Deutschen aus, aber ich habe schon Wanderer aus Tschechien, Frankreich, Dänemark, Brasilien, Japan, China, Kanada, Österreich, und der Schweiz getroffen. Ebenso divers ist es beruflich, es gibt Ingenieure, Lehrer, ITler, ich habe einen freiberuflichen Musikproduzenten getroffen, eine Kunstprofessorin, Krankenpfleger, Biologen, Entwicklungshelfer, Beamte, und eine große Gruppe sind auch Saisonarbeiter, die im Winter einige Monate arbeiten, beispielsweise in der Gastro, und dann im Sommer 6 bis 8 Monate wandern gehen. Auch altersmäßig ist hier alles vertreten, der Großteil ist zwischen Anfang 20 und Ende 30, aber ich treffe auch nicht wenige Wanderer jenseits der 50 oder 60. Der überwiegende Teil der der Wanderer ist grundsätzlich allein unterwegs, einige wenige Paare laufen den Weg zusammen aber es ist nicht unüblich, dass sich Wanderer in kleineren, manchmal auch etwas größeren, Gruppen zusammenschließen. Das heißt nicht zwangsläufig, dass man den ganzen Tag zusammen läuft, sondern eher, dass man gemeinsam Pausen macht, gemeinsam zeltet, und gemeinsam Zeit in den Städten verbringt. Ich bin nach wie vor alleine unterwegs, laufe immer wieder mit anderen, beispielsweise bin ich kurz vor Wyoming vielleicht eine Woche lang mit einem Brasilianer zusammen unterwegs gewesen, in den letzten Tagen war ich oft mit einem Amerikaner zusammen, und diese Abwechslung gefällt mir eigentlich gut. Es ist sehr angenehm und oft auch hilfreich, nicht alleine unterwegs zu sein, trotzdem gefällt es mir auch immer wieder gut, eine Weile alleine zu sein, und eine grundsätzliche Unabhängigkeit zu haben. Auf jeden Fall ist das soziale Element ein wichtiger Teil dieses Wegs und macht das Ganze durchaus noch einmal interessanter.
Nun werde ich mich gleich auf den Weg machen, als nächstes steht der sozusagen Höhepunkt des Weges an, Gray’s Peak mit 4350m.
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Colorado!
Ich habe Colorado erreicht! Seit drei Tagen bin ich nun im vorletzten Bundesstaat meiner Wanderung und habe nun Steamboat Springs erreicht. Das Rennen gegen den Wintereinbruch geht in den Endspurt, wobei Spurt hier wohl relativ zu betrachten ist.
Colorado ist der höchstgelegene Bundesstaat der USA und man merkt das auch schon zumindest ein bisschen in den ersten Tagen. Vom Great Basin in Wyoming ging es erst ordentlich hoch. Gestern Abend habe ich auf etwa 2.800 Meter geschlafen, was für hiesige Verhältnisse tatsächlich eher niedrig ist. Trotzdem befinde ich mich eher noch am Anfang der Colorado Rockies und man merkt, dass es erst in den nächsten Tagen so richtig in die Berge gehen wird. Nach dem wüstenabschnitt am Ende von Wyoming gefällt es mir gut, wieder in den Bergen zu sein. Due Berge hier sind deutlich weniger scharf als zum Beispiel in den Alpen, alles ist etwas runder und weiter, der Weg führt oft über sehr breite Bergrücken mit alpinen Wiesen.
Man merkt so langsam auch, dass es Herbst wird, die Nächte werden spürbar kälter und morgens aus dem Schlafsack zu kriechen erfordert immer mehr Überwindung. Auch die Tage werden kürzer, dadurch wird es immer schwieriger, die notwendigen Kilometer zu erreichen, insbesondere, da nun ja auch sowohl die recht große Höhe als auch viele zu überwindende Höhenmeter dazu kommen. Nichtsdestotrotz freue ich mich sehr auf Colorado und bin gespannt, was die Bergwelt hier noch zu bieten hat..
The Basin
Tja. Erstens kommt immer alles anders und zweitens als man denkt. Für das Great Divide Basin hatte ich Temperaturen bis fast 40 Grad, Sonne pur, und wenig Wasser erwartet. Ich hatte jedoch jeden Tag Regen, gestern sogar praktisch den ganzen Tag, auch ein paar Gewitter, was bei dem Gelände – siehe auch Fotos – nicht vergnügungssteuerpflichtig ist, und dadurch sowohl am Boden als auch von oben deutlich mehr Wasser als erhofft.
Nichtsdestotrotz fand ich das eine höchst faszinierende Gegend. Gleich am Anfang kam ich durch ein kleines Geisterdorf, dass heute ein Freilichtmuseum ist, South Pass.City. Entstanden im 19. Jahrhundert im Zuge des Goldrauschs, wurde das Dorf im 20 Jahrhundert irgendwann aufgegeben, heute betreibt ein Verein dort eben ein Freilichtmuseum. Sie haben die Gebäude originalgetreu nachgebaut und man kann auch reinsehen und teilweise auch reingehen, am spannendsten fand ich das Gebäude, in dem Fotos von den 1870ern bis ins frühe 20. Jahrhundert ausgestellt waren.
Das Great Divide Basin ist sehr interessantes Gebiet. War ich bisher immer entlang der Wasserscheide unterwegs, was ja auch heißt, dass das Wasser links von mir in den Atlantik und rechts in den Pazifik fließt, ist es hier im Basin so, dass die Wasserscheide außenrum geht, das heißt, jegliches Wasser das hier reinkommt, bleibt auch hier, es fließt nirgendwohin ab. Nun ist es so, dass, offensichtliche außer in den letzten Tagen, normalerweise hier extrem wenig Wasser ist, es gibt kaum Regen, und auch sehr wenig natürliche Wasserquellen. Die Gegend mit eintönig zu beschreiben wäre eine massive Untertreibung, nichtsdestotrotz fand ich es höchst faszinierend hier durchzulaufen. Es ging ein bisschen mehr hoch und runter als ich das erwartet hatte, aber die Höhenmeter hielten sich doch sehr in Grenzen, Hügel waren eigentlich die einzige Form der Gelände Variierung, die es gab. In den letzten ca anderthalb Tagen bin ich rund 70km einfach nur geradeaus gelaufen, mit minimalen Richtungsveränderungen von höchstens wenigen Grad. Nun bin ich im Rawlins angekommen, ein bisschen wird es noch so weitergehen, bevor es dann jetzt hoch Richtung Colorado geht.
The Winds
So, nach acht Tagen bin ich gestern endlich in Lander, Wyoming, angekommen. Das war durchaus ein hartes Stück Arbeit. Nichtsdestotrotz habe ich diese Tage insgesamt sehr genossen, landschaftlich war das bisher eines der Highlights überhaupt. Die Wind River Range ist benannt nach dem gleichnamigen Fluss und dem Indianerstamm, der hier in der Nähe auch ein Reservat hat.
Zum ersten Mal war ich auch regelmäßig über 3000m, nachdem ich die letzten Wochen meistens zwischen 2500m und 3000m gelaufen bin, ging es dieses Mal bis auf 3700m hoch. Man sieht es meinen Fotos, auch denen der letzten Wochen, nicht immer unbedingt an, in welcher Höhe ich mich bewege, aber tatsächlich ist die Baumgrenze hier auf etwa 3200 m.
Jedenfalls war das ein Abschnitt, der geprägt war von hohen Bergen und vor allem sehr vielen wunderschönen Bergseen. Ich hatte zumindest ab dem dritten Tag auch echt Glück mit dem Wetter, sodass ich mehrere Nächte ohne Tag schlafen konnte und und dank Neumond auch immer wieder ganz tolle Sternenhimmel sehen konnte.
Vielleicht ist hier eine gute Gelegenheit, ein paar Worte über Waldbrände zu verlieren. Bisher hatte ich nämlich großes Glück, ich musste keinem einzigen Waldbrand ausweichen, das einzige mal, dass es knapp war, wurde der Wanderweg eine Woche bevor ich durchgelaufen bin wieder eröffnet, und auch diese Woche hatte ich wieder Glück: vergangenen Sonntag bin ich noch am Green River entlang gelaufen, seit Donnerstag gibt es dort einen Waldbrand. Für viele Wanderer, die ein paar Tage hinter mir sind, ist das nun ein echtes Problem.
Aber auch wenn ich kann bisher keine Waldbrände direkt auf der Strecke hatte, bin ich inzwischen zusammengerechnet mehrere hundert Kilometer durch Gebiete gelaufen, die in den letzten zwei bis 15 Jahren abgebrannt sind. Ich denke auf meinen Fotos ist das auch regelmäßig zu sehen, ich habe aber diesmal zwei Gallerien angelegt, eine extra mit „Burn Zone“ Fotos. Diese Gebiete sind oft sehr anstrengend zu durchqueren, da die Wege, je nachdem wie lange der Waldbrand her ist, nicht immer in einem guten Zustand sind, immer wieder Baumstämme über dem Weg liegen, es oft wenig Wasser gibt, und man nur schwer einen Zeltplatz findet, da die ganzen toten Bäume, die noch stehen, jederzeit umfallen können, vor allem wenn es windet. Tatsächlich habe ich genau das auch schon beobachten können.
Fand ich es am Anfang noch interessant, solche Gebiete durch zu durchqueren, ist es inzwischen meistens eher lästig, zumal es nicht selten vorkommt, dass man mehrere Stunden durch entsprechende Abschnitte läuft. Nichtsdestotrotz ist aber immer wieder spannend, wie sich der Wald auch selbst erneuert, und wie der aktuelle Stand dessen ist, je nachdem wie lange der Waldbrand her ist.
Der nächste Abschnitt ist wahrscheinlich in jeglicher Hinsicht das krasse Gegenteil vom vorhergegangenen: das Great Divide Basin, ein wüsten- oder steppenartiger abschnitt, deutlich tiefer wieder, teilt sogar unter 2000m, sehr flach, es gibt sehr wenig Wasser dort, und wahrscheinlich wird es recht heiß. Außerdem bin ich jetzt endlich aus dem Grizzly Gebiet raus und habe heute mein Bärenspray abgegeben.
Yellowstone. Geysire. Und Grizzlies!
So, ich bin nun tatsächlich in Wyoming und habe Dubois erreicht. Damit habe ich auch die 1500 km geknackt.
Vier Tage war ich diese Woche in Yellowstone, und war ziemlich begeistert. Yellowstone ist völlig anders als alles, was ich bisher gesehen habe. Der Weg verlief sehr eben, was eine angenehme Abwechslung war, aber vor allem waren die ganzen Geysire und heißen Quellen echt spektakulär. Auch abgesehen davon hat mir der Park sehr gefallen, es ging auch viel wieder wie ganz am Anfang der Wanderung durch Flusstäler, die aber meist deutlich weiter waren und ein ziemlich cooles Wildwestfeeling hatten.
Und ich habe zum ersten mal Grizzlys gesehen! Zuerst eine Mutter mit zwei kleinen, die leider nur ca 10 bis 15 m von mir weg waren. Glücklicherweise wollten sie ebenso wenig mit mir zu tun haben wie ich mit ihnen und haben sich weg von mir über den Fluss verkrümelt. Ich habe eine Weile Pause gemacht, damit sie sich entfernen können, aber kaum war ich losgelaufen, habe ich die drei mit noch einem erwachsenen Bär auf der anderen Flussseite gesehen. Das war immerhin eine angenehme Entfernung, sie konnten mich zwar riechen, aber nicht richtig sehen und haben sich dann aber auch wieder in den Wald verzogen. Dabei habe ich immerhin ein paar Fotos machen können.
Als nächstes geht es in die Wind River Range, dort werde ich ca 8 Tage unterwegs sein, das heißt, ich muss wieder einen Haufen Essen in den Rucksack packen.
Good-bye Montana
Ein kurzer Abschnitt diesmal, nur ungefähr 100 km seit Lima. Am Samstagabend haben die Leute vom Motel in Lima drei andere WandererInnen und mich zurück zum Weg gefahren. Eigentlich wollten wir einfach gemütlich noch drei oder vier Kilometer laufen, und dann unsere Zelte aufschlagen. Kaum waren wir allerdings losgelaufen, ging es los: Regen, Gewitter, Hagel, starker Wind. An der ersten halbwegs geschützten Stelle haben wir unsere Zelte aufgeschlagen, klatschnass. Immerhin war mein Schlafsack trocken geblieben. Aber die nächsten Tage war das Wetter weitgehend gut, sodass wir alles wieder trocken bekommen haben.
Die Strecke bis hierher war recht angenehm, nicht so viele Höhenmeter, man kam schnell vorwärts. Nun sitze ich in einem Hotel, wo ich auf mein neues Paar Schuhe warte, das hoffentlich morgen ankommt. Immerhin meine erste Nacht in einem Bett seit über drei Wochen!
Gestern habe ich nun endgültig Montana verlassen. Die letzten paar 100 km bin ich ja immer entlang der Grenze zwischen Montana und Idaho gelaufen, nun laufe ich noch ein kleines Stück schräg durch Idaho. Tatsächlich sind es nur noch etwa 40 km, bis ich im Yellowstone Nationalpark die Grenze zu Wyoming überschreite. Von Wyoming habe ich ja schon öfters gesprochen, daran merkt ihr vielleicht auch, wie sehr nicht nur ich, sondern fast alle Wanderer, die ich nur hier so treffe, die Grenze herbeisehnen. Der erste große Abschnitt ist damit abgeschlossen. Zum Einen gibt mir das das Gefühl, nun doch endlich schon einiges geschafft zu haben und gut vorwärts zu kommen, zum anderen motiviert es auch aufs Neue, insbesondere weil Wyoming viele Highlights bietet. Zu Beginn natürlich der Yellowstone Nationalpark, direkt anschließend die Wind River Range, die vielen Wanderern als eines der, wenn nicht das Highlight des ganzen Weges gilt. Und zu guter letzt noch das Great Basin, ein geologisch sehr spannendes Gebiet, weil die Wasserscheide nicht durch, sondern um dieses Becken herumführt. Auch landschaftlich freue ich mich sehr darauf, es ist eine wüsten- oder steppenartige Gegend, sehr flach, praktisch keine Vegetation, ganz anders als alles, was ich bisher so gesehen habe. Leider ist es dort vor allem im August sehr heiß, und es gibt sehr wenig Wasser. Aber bis dahin ist es ja noch eine Weile.
Lima
Nein, ich habe mich nicht verlaufen. Wie wahrscheinlich bekannt, waren sie in den USA nicht immer so kreativ, wenn es um die Stadtnamen ging. Und so bin ich jetzt in Lima, meinem letzten Stopp in Montana.
Die letzten Tage waren recht interessant, weil sich die Vegetation stark verändert hat. War es bisher meistens bewaldet, laufe ich nun durch steppenartige Gebiete, in denen vor allem wüstensalbei wächst.
Ansonsten muss ich ehrlich sagen, ist in den letzten vier Tagen nicht viel Neues passiert, weiterhin gibt es fast jeden Tag gegen Nachmittag ein Gewitter, manchmal hat man Glück und es ist so weit weg, dass man es nur aus der Ferne sieht, manchmal hat man nicht so viel Glück. Dafür geht es ganz gut vorwärts, schon in wenigen Tagen werde ich Yellowstone erreichen, wo ich die Grenze nach Wyoming überquere.
Leadore
Heute bin ich in Leadore angekommen. Ein winziger Ort mit etwas über 100 Einwohnern, wie es hier so einige davon gibt. Die Grenze zwischen Idaho und Montana ist selbst für hiesige Verhältnisse sehr dünn besiedelt. Die Autobahn, die über den Pass führt, an dem wir ankamen, entpuppte sich als Schotterstraße. In den etwa zweieinhalb Stunden, die ich mit zwei anderen Wanderern dort verbrachte, kamen etwa fünf Autos vorbei. Wir hatten ein Shuttle organisiert, das uns in das Dorf gebracht hat.
Die letzten Tage waren landschaftlich wieder einmal äußerst schön, mit vielen Gratwanderungen und herrlichen Ausblicken. Auch mit dem Wetter hatte ich Glück, es gab zwar fast jeden Nachmittag ein Gewitter, allerdings oft in so großer Entfernung, dass ich nicht einmal Regen abbekommen habe.
Was sich seit dem letzten Stop auch geändert hat: eigentlich seit ich Glacier National Park verlassen habe, war ich den größten Teil der Zeit alleine. Ungefähr einen halben bis ganzen Tag vor mir war eine Gruppe von ca. 25 Wanderern, die ich meist aber nur manchmal kurz in Städten getroffen habe. Seit dem letzten Dorf laufe ich mitten in einer Gruppe von ca. 10 Wanderern, wir überholen uns immer wieder gegenseitig, laufen manchmal Teile miteinander, Campen auch öfters zusammen und halten so einen gewissen Kontakt. Nach der langen Zeit alleine tut mir dieser Kontakt ganz gut.
Ich habe inzwischen die 1000 km Marke geknackt und bin schon über einen Monat unterwegs. Es war bis jetzt eine sehr interessante Zeit, vieles war so wie ich es erwartet hatte, einiges auch anders. Eine so große Wanderung klingt natürlich erstmal wie ein großes Abenteuer, tollen Erlebnissen, viel Spaß, schönen Landschaften, und einfach ein großartiges Outdoorerlebnis, wie man es aus Filmen oder Büchern kennt. Oft ist es allerdings einfach anstrengend, der Rucksack ist schwer, es ist heiß, oder auch sehr kalt, es regnet und man wird klatschnass, es gibt überall Mücken, es geht steil berghoch oder auch bergab, das Alleinsein zehrt, irgendetwas tut weh, oder es ist sonst irgendwas. Vor allem aber, und das habe ich schon letztes Jahr einen Pyrenäen festgestellt, ist es eine große mentale Anstrengung, sich immer wieder aufs Neue zu motivieren, morgens aus dem Schlafsack zu kriechen und weiter zu laufen, oder auch nur nach der Pause aufzustehen und die nächsten 10 km zu laufen. Nichtsdestotrotz habe ich insgesamt eine sehr gute Zeit gehabt, in der die positiven Erlebnisse trotz allem immer wieder die Anstrengungen Werte sind.
Idaho. IDAHO!
Es ist geschafft. Ich habe heute tatsächlich die Grenze zu Idaho erreicht. Das heißt nun allerdings noch nicht, dass ich Montana verlasse. Für die nächsten paar 100 km werde ich immer entlang der Grenze von Idaho und Montana laufen, bis ich kurz vor Wyoming dann endgültig noch ein paar Kilometer durch Idaho laufe, und dann im Yellowstone Nationalpark die Grenze zu Wyoming überschreite. Das ist allerdings noch eine Weile hin.
Nun sitze ich gerade erst mein Darby, das ich heute nachmittag erreicht habe. Hier habe ich meine Vorräte aufgestockt, ich habe auch mal ein Bild von meinem Essen, sowohl ausgebreitet als auch bärensicher verpackt, in die Galerie gestellt, das sollte für 6 Tage reichen, das Nutella vielleicht auch länger.
Von Helena aus habe ich eine Alternativroute genommen, die mich in eine Kleinstadt namens Anaconda gebracht hat. Um dorthin zu kommen musste ich leider relativ viel an Straßen entlang laufen, oft unbefestigte Forststraßen, aber auch immer wieder Abschnitte an der Autobahn. Zum Glück ist hier nicht so viel Verkehr, es gibt ja nicht so viele Menschen. Nach Anaconda ging es wieder in die Berge und es wurde deutlich schöner, ich war auch im Vergleich zu bisher meist relativ hoch unterwegs, immer zwischen 2200 und 2700m ü.N.N.. Teilweise war es wieder hoch zum Pass, runter in den Kessel, hoch zum Pass, was sehr anstrengend ist, aber immer wieder gab es auch schöne Strecken entlang von Bergrücken mit tollen Ausblicken. Gestern habe ich auch die 500 Meilenmarke überschritten (800km).
Helena
Gestern Abend bin ich in Helena angekommen. Helena ist die Hauptstadt von Montana und hat etwa knapp über 30.000 Einwohner, also auch nicht gerade eine riesige Stadt, trotzdem ist es die viertgrößte Stadt in Montana. Ein ganz nettes kleines Städtchen, es gibt sogar eine Fußgängerzone mit netten kleinen Läden und guten Restaurants Insgesamt ist Montana extrem dünn besiedelt, erst seit 2021 hat der Bundesstaat mit einer Fläche, die etwa so groß ist wie Deutschland + ein zusätzliches Baden-Württemberg, über eine Million Einwohner. Ich habe hier einen Tag Pause gemacht, um meine Füße etwas auszuruhen und das schlechte Wetter heute auszusitzen.
Wenn ich in Ortschaften bin, habe ich immer ein paar Sachen zu tun: Wäsche waschen, duschen, nach Deutschland telefonieren, Nachrichten beantworten, den Blog hier schreiben, etwas warmes essen, ganz wichtig natürlich auch Essen für die nächsten Tage kaufen und sonstige Besorgungen machen, dieses Mal habe ich z.B neue Socken gekauft, außerdem habe ich ausgenutzt, dass es hier einen gut sortierten Outdoor Shop gibt und habe ein paar neue Schuhe gekauft, die ich mir allerdings per Post selber in meinen übernächsten Stopp geschickt habe, so lange sollten meine aktuellen noch halten. Neue Socken waren tatsächlich überfällig. Eigentlich habe ich zwei Paar dabei, damit ich immer eins tragen kann und das andere waschen und auslüften kann. Leider habe ich schon am dritten Tag während eines Hagelsturms einen Socken verloren, der an meinem Rucksack zum Lüften hing, daher bin ich seither nur mit einem Paar Socken durch die Gegend gelaufen, ohne die Möglichkeit diese mal richtig auszuwaschen, was nach so langer Zeit mit diesen Bedingungen äußerst unangenehm war.
Die Ortschaften liegen übrigens meistens nicht direkt am Weg, sondern ich komme meistens an eine Autobahn oder sonstige Straße und muss von dort noch 20 bis 30 km per Anhalter in die nächste Stadt fahren. Das hat bisher ziemlich gut funktioniert, ich musste nie besonders lange warten und es beschert mir sehr interessante Begegnungen mit sehr verschiedenen Leuten.
Der Weg war die letzten Tage etwas anders als in der ersten Zeit, oft bin ich in den ersten zwei Wochen Flusstäler entlang gelaufen und immer wieder hoch zu Pässen. Seit ein paar Tagen laufe ich meistens entlang der tatsächlichen Wasserscheide auf Höhenzügen und Bergrücken emtlang, was über lange Strecken fantastische Ausblicke bringt und wirklich Spaß macht zu gehen. Allerdings ist es viel schwieriger geworden, Wasser zu finden und ich laufe oft oberhalb der Baumgrenze, was bei Temperaturen um die 30° selbst über 2000m unangenehm sein kann.