„Colorado is kicking my ass“. Wohl keinen anderen Satz habe ich in den letzten knapp zwei Wochen öfters gehört. Alle uns Wanderer hat dieser Staat in den letzten Tagen vor große Herausforderungen gestellt. An die Höhe habe ich mich inzwischen weitgehend gewöhnt, das war in den ersten Tagen aber gar nicht so einfach, gerade bei den langen Aufstiegen bin ich doch schwer ins Atmen gekommen. Die eigentlich große Herausforderung gerade in den letzten Tagen war aber vor allem das Wetter kombiniert mit dem Terrain. Der Weg läuft hier viel oben auf Graten oder Bergrücken, oft über lange Strecken von 10 km oder mehr, ohne Abstieg unter die Baumgrenze. Dazu hatten wir vor allem in den letzten Tagen oft schlechtes Wetter mit viel Regen, vor allem auch Hagel, und vielen Gewittern. Gewitter sind hier um diese Jahreszeit nicht unüblich, allerdings kommen sie normalerweise erst nachmittags und dauern nur kurz. Das war letzte Woche nicht der Fall, es war völlig unberechenbar, was die ganze Strecke manchmal zu einem großen Glücksspiel gemacht hat. Einmal bin ich auch 3 km und 500 Höhenmeter einfach wieder zurück abgestiegen, um nicht oben dem Gewitter ausgesetzt zu sein. Wie ich inzwischen gelernt hatte, ist es nämlich sehr unangenehm, in offenem Gelände mitten im Gewitter zu sitzen. Auch jetzt mache ich gerade einen zusätzlichen Tag Pause, um Stürme abzuwarten. Wenn dann aber mal die Sonne scheint, oder es zumindest soweit aufklart, dass man Ausblick hat, dann ist die Gegend hier wirklich beeindruckend. Oft sieht man dann Dutzende Kilometer über die Bergwelt der Colorado Rockies (soehe Fotogallerie).
Da ich durch meinen Pausentag etwas Zeit habe, wollte ich, auch aus anderem Anlass, etwas über die sogenannte Trail Culture schreiben. Wie ich ja schon hier und dort erwähnt habe, treffe ich immer wieder andere Wanderer. Es dürfte eine niedrige dreistellige Zahl vom Wanderern sein, die mehr oder weniger gemeinsam Richtung Mexiko läuft. Es ist tatsächlich sehr faszinierend zu sehen, wen man wo trifft. Manche Wanderer sehe ich über Wochen sehr regelmäßig, manchmal passiert es auch, dass ich jemanden treffe, den ich schon seit wortwörtlich Monaten nicht mehr gesehen habe, wieder andere habe ich erst in der letzten Woche kennengelernt. Nichtsdestotrotz kennt man sich sozusagen, oft hat man auch schon zumindest mal die Namen gehört, es ist durchaus so, dass es hier eine Art Gemeinschafts- oder Gruppengefühl gibt zwischen den Wanderern. Das passiert natürlich jedes Jahr, und hat dazu geführt, dass es auf diesen großen Wanderwegen hier in den USA wie eine Art Subkultur gibt. Beispielsweise ist es hier üblich, sich nicht mit den eigentlichen Namen, sondern mit sogenannten trail-namen an zu reden, die man von anderen Wanderern bekommt. Die meisten basieren auf irgendeiner Episode oder Geschichte oder ähnliches, die auf dem Trail passiert sind, wobei der Großteil aller Wanderer ja schon mal einen ähnlich langen Weg gelaufen ist, und dadurch schon einen Trailnamen hat. Mein eigener trailname ist Yukon, wer mag möge „Cornelius Yukon“ googeln. Ein anderer Teil der Trail culture ist sogenannte Trail magic. Meist bedeutet das in etwa, dass irgendwelche wildfremden Leute irgendetwas für uns Wanderer machen, teilweise geplant, manchmal auch völlig zufällig. Beispielsweise gibt es manchmal an Stellen, wo es wenig Wasser gibt, Leute aus umliegenden Dörfern, die einfach eine Kühltasche mit Wasser an den Weg stellen, manchmal sogar noch mit Keksen, Süßigkeiten oder ähnlichem. Was ich auch schon erlebt habe, als ich mit einer anderen Wandererin an einer Straße entlang gelaufen bin, hat jemand angehalten, und uns gefragt ob wir etwas von McDonald’s wollen. Er ist dann tatsächlich 20 km in die nächste Stadt zurückgefahren und hat uns etwas von McDonald’s gebracht. Solche Sachen passieren immer wieder, die Leute gerade in den ländlichen Gegenden hier sind wirklich hilfsbereit und freundlich.
Gestern war ich in Leadville in Colorado, wo die CDT Coalition, das ist die Organisation, die diesen Weg hier organisiert und betreut, die sogenannten Traildays veranstaltet hat. Das ist ein eintägiges Event für alle sogenannten „Sobos“, so werden die Wanderer bezeichnet, die southbound, also südwärts, laufen, es gab Vorträge, Stände von Ausrüstungsherstellern, und diverse andere Workshops und ähnliches, vor allem aber war es eine Möglichkeit, für alle Wanderer, sich mal an einem Ort ohne Wamderstress zu treffen. Das war wirklich schön, auch wieder Leute zu sehen, die ich schon lange nicht mehr gesehen hatte, aber auch viele neue Leute kennenzulernen, die ich noch nicht getroffen hatte.
Die Wanderer hier auf dem Trail sind äußerst unterschiedlich, es ist wirklich faszinierend, wen man hier alles so trifft. Den Großteil der Wanderers sind natürlich US-Amerikaner, die zweitgrößte Gruppe machen wir Deutschen aus, aber ich habe schon Wanderer aus Tschechien, Frankreich, Dänemark, Brasilien, Japan, China, Kanada, Österreich, und der Schweiz getroffen. Ebenso divers ist es beruflich, es gibt Ingenieure, Lehrer, ITler, ich habe einen freiberuflichen Musikproduzenten getroffen, eine Kunstprofessorin, Krankenpfleger, Biologen, Entwicklungshelfer, Beamte, und eine große Gruppe sind auch Saisonarbeiter, die im Winter einige Monate arbeiten, beispielsweise in der Gastro, und dann im Sommer 6 bis 8 Monate wandern gehen. Auch altersmäßig ist hier alles vertreten, der Großteil ist zwischen Anfang 20 und Ende 30, aber ich treffe auch nicht wenige Wanderer jenseits der 50 oder 60. Der überwiegende Teil der der Wanderer ist grundsätzlich allein unterwegs, einige wenige Paare laufen den Weg zusammen aber es ist nicht unüblich, dass sich Wanderer in kleineren, manchmal auch etwas größeren, Gruppen zusammenschließen. Das heißt nicht zwangsläufig, dass man den ganzen Tag zusammen läuft, sondern eher, dass man gemeinsam Pausen macht, gemeinsam zeltet, und gemeinsam Zeit in den Städten verbringt. Ich bin nach wie vor alleine unterwegs, laufe immer wieder mit anderen, beispielsweise bin ich kurz vor Wyoming vielleicht eine Woche lang mit einem Brasilianer zusammen unterwegs gewesen, in den letzten Tagen war ich oft mit einem Amerikaner zusammen, und diese Abwechslung gefällt mir eigentlich gut. Es ist sehr angenehm und oft auch hilfreich, nicht alleine unterwegs zu sein, trotzdem gefällt es mir auch immer wieder gut, eine Weile alleine zu sein, und eine grundsätzliche Unabhängigkeit zu haben. Auf jeden Fall ist das soziale Element ein wichtiger Teil dieses Wegs und macht das Ganze durchaus noch einmal interessanter.
Nun werde ich mich gleich auf den Weg machen, als nächstes steht der sozusagen Höhepunkt des Weges an, Gray’s Peak mit 4350m.
Colorado. Nun richtig.
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